Schluss mit der Sparpolitik, auch auf dem Arbeitsmarkt – Übergang der U25-jährigen vom SGB II ins SGB III verhindern!
Unsere Bundesregierung mit Beteiligung der SPD hat uns mit ihrem Haushaltsentwurf 2024 unter der Federführung des Bundesministeriums für Finanzen bzgl. der Zukunft der Arbeitsmarkt und Sozialpolitik vollkommen überrascht. Geplant sind massive Einsparungen zulasten besonders einkommensarmer und vulnerabler Gruppen.
Sie verschieben zudem Belastungen auf künftige Generationen, belasten die Beitragszahler*innen in den Sozialversicherungen in erheblichem Umfang und führen zu einer strukturellen Schwächung des Sozialstaates und der ihn tragenden Institutionen.
Was hat die Bundesregierung konkret vor?
Für den Bundeshaushalt 2024 ist eine Kürzung der Grundsicherung für Arbeitssuchende um 700 Mio. Euro geplant. Diese Kürzung trifft das Budget für Eingliederungsleistungen besonders stark. Da die Verwaltungskosten aktuelle Preisentwicklungen schon jetzt nicht hinreichend berücksichtigen, werden die Jobcenter das Verwaltungskostenbudget verstärken müssen, und zwar faktisch zu Lasten der Eingliederungsbudgets.
Das Bürgergeldgesetz sieht eine deutliche Stärkung der beruflichen Qualifizierung langzeitarbeitsloser Menschen vor. Diese Maßnahmen sind teurer und die Jobcenter gehen finanzielle Verpflichtungen über einen längeren Zeitraum ein. Die vorgesehenen Kürzungen können diese Vorhaben konterkarieren und treffen die Jobcenter in unterschiedlichen Ausprägungen. In Abhängigkeit von den bereits eingegangenen Verpflichtungen für die Folgejahre reduzieren sich die finanziellen Spielräume für die Initiierung neuer Arbeitsmarktmaßnahmen und der Verlängerung bestehender erfolgreicher Maßnahmen und damit die Fördermöglichkeit von Bürgergeldbezieher*innen. Der angekündigte Paradigmenwechsel im SGB II durch die Einführung des Bürgergeldes und die Überwindung von Hartz IV droht damit im Keim erstickt zu werden. Ohne auskömmliche Finanzierung und langfristige Perspektiven verläuft das eigentliche Ansinnen der nachhaltigen Förderung und Integration im Sande.
Noch problematischer sehen wir bereits am 16.08.2023 im Kabinett beschlossenen Zuständigkeitswechsel für die Betreuung, Beratung und Förderung von jungen Menschen bis 25 Jahre (U 25) weg von den Jobcentern hin zu den Agenturen für Arbeit. Dieser Wechsel folgt aus unserer Sicht nicht nach arbeitsmarkt- uns sozialpolitischen Überlegungen und Konzepten (es existiert hierzu noch nicht einmal ein inhaltliches Fachkonzept), sondern ist rein haushaltspolitisch motiviert, denn die Kosten für die rund 702.600 erwerbsfähige leistungsberechtigte junge Menschen unter 25 Jahren in der Grundsicherung in Höhe von rund 900 Mio. Euro werden damit vom steuerfinanzierten Haushalt in die beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherung verschoben.
Die Verschiebung betrifft die Dienstleistungen der Ausbildungsvermittlung, der Arbeitsvermittlung sowie die arbeitsmarktpolitischen (Bildungs-)Maßnahmen für Personen unter 25 Jahren, die arbeitslos sind, nicht arbeitslose Arbeitssuchende, die z.B. in Maßnahmen sind und Leistungen zum Lebensunterhalt (Berufsausbildungsbeihilfe, Ausbildungs- oder Übergangsgeld erhalten und sich im SGB II-Bezug befinden oder ergänzende Leistungen des SGB II erhalten, sowie Nichtarbeitssuchende zwischen 15 und 24 Jahren, denen nach SGB II eine Arbeit nicht zumutbar ist, weil bestimmte Umstände dagegen sprechen, z.B. Erziehungsverpflichtungen für Kinder unter 3 Jahren.
Bisher wird die Arbeitsförderung von Menschen unter 25 Jahren von 301 gemeinsamen Einrichtungen von Bundesagentur und Kommune und den 104 zugelassenen kommunalen Trägern übernommen. Sollte die Verlagerung von den Jobcentern auf die Bundesagentur für Arbeit stattfinden, so würde dies berechnet nach dem jetzigen Betreuungsschlüssel incl. Servicecenter und Overhead dies einen Bedarf bei der Bundesagentur von rund 6.500 bis 7.000 Stellen bedeuten. Auch hier ist nicht klar, wie die personellen Ressourcen in der vorgesehenen Zeitplanung überhaupt sichergestellt werden können.
Ein weiteres Problem sind die fehlenden Instrumente für diese Aufgabe im SGB III, diese stehen bisher rechtskreisübergreifend nur im SGB II zur Verfügung. Dies betrifft alle Leistungen aus § 16 ff. SGB II, die bisher mit der Bürgergeld-Einführung nicht in beiden Rechtskreisen gelten, wie z.B. Einstiegsgeld und Eingliederungsleistungen, Arbeitsgelegenheiten, Förderung schwer zu erreichender junger Menschen, spezifische Förderinstrumente für benachteiligte junge Menschen wie aufsuchende Sozialarbeit, die Schaffung gleicher Strukturen und Möglichkeiten mit den Kommunen bei Streetwork, Drogen- und Suchtberatung, Geldberatung etc.. Hier stellt sich auch die Frage, wie in so kurzer Zeit die Übertragung/Sicherstellung vorhandener Netzwerke in den jeweiligen Kommunen gelingen kann. Darüber hinaus muss der Leistungsbereich mit einer umfassenden bedarfsdeckenden Kindergrundsicherung, mitgedacht werden.
Die geplante Verlagerung aus dem SGB II in das SGB III bedeutet einen Systemwechsel und darf nicht allein aus haushalterischen Überlegungen zur Einsparung von Mitteln ohne positive Gestaltung der Grundlagen stattfinden. In der bisherigen Planung soll die Bundesagentur für Arbeit diese Aufgabe übernehmen und die bisher veranschlagten Kosten von rund 1,1 Mrd. Euro aus dem normalen Haushalt abdecken. Und zwar ohne, dass zusätzliche Mittel in die Bundesagentur zum Ausgleich fließen.
Die uns vorliegenden Pläne wirken wie ein „übler Hütchenspielertrick“. In der Agentur würde diese Leistung, genau so viel kosten. Nur dann eben nicht von der Allgemeinheit bezahlt (Steuerzahler*innen), sondern von den Arbeitnehmer*innen (Beitragszahler*innen). Der geplante Zuständigkeitswechsel beruht nicht etwa auf arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Überlegungen und Konzepten im Interesse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sondern ist unserer Meinung nach rein haushaltspolitisch motiviert! Der DGB Bundesvorstand, die zuständige Gewerkschaft ver.di, die Landesregierung von NRW, ein breites Bündnis von Bildungs- und Sozialverbänden, die Wohlfahrtsverbände und selbst der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeber (BDA) kritisieren schon jetzt die aktuell vorliegenden Vorschläge [heftig]. [Kern dieser Kritik sind vor allem die haushaltspolitisch motivierten Einsparungen und das noch nicht Vorliegen eines Konzepts zu Umsetzung. Sollte dieser Rechtsübergang dennoch kommen muss sichergestellt werden, dass nirgends Leistungskürzungen vollzogen werden. Wir erwarten auch dazu eine gesetzliche Normierung!] Weitere Protestnoten von Sozialpartnern sind aktuell in Arbeit. Selbst die Jobcenter verstehen die aktuellen Pläne der Bundesregierung nicht, besonders deswegen nicht, weil keinerlei konkrete Plane vorliegen, wie die Reform inhaltlich aussehen soll. Eigentlich steht immer erst ein konkreter Plan an und danach wird über die Finanzierung verhandelt. Hier hört es sich wie ein Versprechen an, dass alles problemlos klappt, ohne konkret zu sagen, wie. Dieses Vorgehen kritisieren wir ausdrücklich.
Sollte die Betreuung und Begleitung der jungen Menschen unter 25-Jährigen nicht in der gleichen Qualität stattfinden, dann spart man Geld am völlig falschen Ende und das wird sich sozialpolitisch auf Jahrzehnte auswirken. In der Beratung dieser Zielgruppen geht es vielfach um soziale Problemlagen wie Schulden, Sucht und psychische Probleme. Die Jobcenter haben hier die entsprechende Beratungskompetenz und verfügen über die geeigneten Strukturen und das Netzwerk vor Ort. Die Jobcenter haben in den letzten fast 18 Jahren eine entsprechende Beratungskompetenz aufgebaut, sind mit ihrer sozialraumorientierten Arbeit etabliert und respektiert und stellen auch in den Jugendberufsagenturen die treibende Kraft und die tragende Säule dar. Die Bundesagentur für Arbeit verfügt hingegen nicht über die entsprechenden Erfahrungen, Netzwerke und Strukturen und ist in der Fläche im Übrigen auch längst nicht so präsent. Die Zuständigkeit jetzt zu verlagern, wird zu einem Bruch in der Betreuung der jungen Menschen und zu einem Verlust nicht nur an Beratungsqualität führen. Mögliche negative Auswirkungen der geplanten Veränderungen im SGB II/III-Bereich für die Beschäftigten in der öffentlich geförderten Weiterbildung zeigen sich schon jetzt. Es ist mit einer Entlassungswelle sowie einer Zunahme von prekären und atypischen Beschäftigungsverhältnissen an Weiterbildungsträgern sowie einer Marktbereinigung zulasten insbesondere kleinerer Träger der Weiterbildung zu rechnen. Gerade die Sozialpartner im Sektor der öffentlich geförderten beruflichen Aus- und Weiterbildung nach SGB II/III sehen die Gefahr einer Zerschlagung bewährter rechtskreisübergreifender regionaler Strukturen und damit den Wegfall zusätzlicher Finanzierungsmöglichkeiten. Gerade in der Übergangsphase besteht aufgrund (subjektiv empfundener) Unsicherheiten hinsichtlich Kontinuität der inhaltlichen Arbeit und Arbeitsplatzsicherheit die Gefahr einer unwiderruflichen Abwanderung des Fachpersonals. Genau das Gegenteil hatte die Regierung bei der Formulierung ihres Koalitionsvertrages vor.
Hinsichtlich der grundsätzlichen Ausfinanzierung des Sozialstaats ist das auch eine haushaltspolitisch schlechte Idee. Kurzfristig mag das Kalkül ja aufgehen, weil die Kasse der Arbeitslosenversicherung gerade wieder leichte Überschüsse verbucht. Hier wird die Zuständigkeit aber dauerhaft verschoben und die Versicherung mit versicherungsfremden Aufgaben belastet. Die Kassen der Sozialversicherung sind nicht immer gut gefüllt. Wenn die Mittel dann nicht mehr ausreichen, bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder ein Zuschuss oder Darlehen aus Steuermitteln (wodurch im Steuerhaushalt eben nichts eingespart wäre) oder die Beitragserhöhung, die Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen aufbringen müssten, was die Löhne und die Binnenkonjunktur insgesamt negativ beeinflussen würde.
Der Beitragssatz der Arbeitslosenversicherung zu Beginn des Jahres ist erst um 0,2% erhöht wurden, wie vergleichsweise schnell die Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2019 von rund 26 Mrd. durch die Pandemie aufgebraucht waren und sich das Defizit in den Jahren 2021 und 2022 auf rund 49 Mrd. aufsummierte. Angesichts des jetzigen Vorhabens wird es nicht möglich sein, dem Jahr 2019 vergleichbare und offenkundig notwendige Rücklagen innerhalb einer arbeitsmarkt- und haushaltspolitisch verantwortbaren Zeit erneut aufzubauen (das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung empfiehlt eine Rücklage von mindestens 0,65% des BIP).
Was braucht es stattdessen?
Unser gemeinsames Ziel muss es sein, drohende Verschlechterungen für die betroffenen jungen Menschen und die Beschäftigten in den Arbeitsverwaltungen zu verhindern:
- Bisher gibt es einige spezifische Förderinstrumente für benachteiligte junge Erwachsene wie etwa aufsuchende Sozialarbeit oder die gerade erst mit dem Bürgergeld eingeführte ganzheitliche Betreuung nur im SGB II. Der Zugang zu diesen wirksamen Instrumenten muss erhalten bleiben.
- Das heute in den Jobcentern mit der Förderung von unter 25-Jährigen betraute Personal verfügt über spezifische Kompetenzen und Erfahrungen. Vielerorts wurden zudem Netzwerke etabliert, in denen unterschiedliche Akteur*innen bei der Beratung, Betreuung und Förderung junger Menschen kooperieren. Diese Förderstruktur darf keinen Schaden nehmen, die Qualität der Angebote muss erhalten werden.
- Ebenso muss vermieden werden, dass Schnittstellen zwischen der Arbeitsförderung und den Angeboten in kommunaler Zuständigkeit wie etwa der Straßensozialarbeit oder Wohnungslosenhilfe für junge Menschen, der Jugendsozialarbeit oder den Hilfen für junge Volljährigen nicht mehr funktionieren.
- Darüber hinaus dürfen die neuen Zielstellungen, welche über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das Qualifizierungschancengesetz, das geplante Tariftreuegesetz für bundesunmittelbare Dienstleistungen (hier u.a. für die SGB II/III-geförderte Aus- und Weiterbildung) vor uns stehen, durch die aktuellen Reformpläne nicht negativ beeinträchtig werden.
Begründung:
Wir als Jusos müssen uns anhand dieser Sparpolitik positionieren und Verbesserungen erwirken. Auch ist es unsere Aufgabe unsere Mutterpartei hier in die Pflicht zu nehmen. Es stand schon länger zur Diskussion, ob dieses Vorhaben wirklich stattfinden sollte. Doch erst im Kabinettsbeschluss zum Haushaltsfinanzierungsgesetz vom 16.08.2023 hat die Bundesregierung Nägeln mit Köpfen gemacht. Doch wir können den aktuellen Entwurf des Haushalts 2024 (konkret die Kürzung im Bereich SGB II) und zum geplanten Zuständigkeitswechsel der Arbeitsförderung von Menschen unter 25 Jahren von den Jobcentern auf die Agenturen für Arbeit zum 01. Januar 2025 noch verhindern. Wenn wir jetzt gemeinsam Druck auf die Entscheidungsträger*innen ausüben. Die gesellschaftliche Mehrheit gegen dieses Vorhaben ist da. Wir können den sozialen Kahlschlag noch verhindern! Alles weitere mündlich.